Thomas kommt von der Schule nachhause. Er hat einen Brief von seinem Schuldirektor in der Hand. „Den Brief soll ich dir geben, Mutter“, sagt er. „Nur du darfst ihn lesen“, hat der Direktor gesagt. „Gut“, sagt die Mutter. „Ich lese ihn später. Jetzt essen wir erst einmal.“
Am Abend öffnet sie den Brief. „Ihr Sohn ist geistig behindert“, steht da geschrieben. „Wir können ihn an unserer Schule nicht mehr unterrichten. Er kommt nicht mit den anderen mit. Behalten Sie ihn von nun an zuhause.“
Nancy weint. Tränenströme fließen aus ihren Augen. Ihr Sohn ist schwerhörig. Aber dumm ist er nicht, ganz und gar nicht. Was soll aus dem Jungen werden? Wie soll er einmal einen vernünftigen Beruf finden, wenn er keinen Schulabschluss hat? Sie weiß nicht mehr ein und aus. Tränenüberströmt geht sie zu Bett.
Am nächsten Morgen hat sie sich gefasst. Zuerst versteckt sie den Brief sehr gut. Beim Frühstück sagt sie zu ihrem Sohn: „Gestern Abend habe ich den Brief aus der Schule gelesen. Willst du wissen, was darinsteht?“ „Klar“, sagte er. Etwas besorgt schaut er sie an. „Sie haben geschrieben, dass du ein Genie bist“, sagt sie. „Die Lehrer an dieser Schule sind nicht gut genug, um dich zu unterrichten. Ich soll dich zuhause behalten und dich selbst unterrichten. Du wirst es zu etwas Großem bringen. Sie sind davon überzeugt, sagen sie. Und ich bin es auch! “ Eine Träne glitzert in ihrem Auge, als sie das sagt. Sie nehmen einander in den Arm.
Wir schreiben das Jahr 1853. Thomas und seine Mutter Nancy leben in Amerika. Sonderschulen für geistig Behinderte oder körperlich Behinderte gibt es damals noch nicht. Aber Privatunterricht, das sogenannte „home-schooling“, wird dort oft praktiziert.
Von nun an unterrichtet sie ihn selbst. Es kommt ihr zugute, dass sie einige Jahre als Lehrerin gearbeitet hat. Sie bringt ihm alle notwendigen Grundkenntnisse bei. Als er 12 Jahre alt wird, beginnt er in einem Kiosk im Bahnhof zu arbeiten. In der Stadt ist eine große Bibliothek. Er holt sich Mengen von Lesestoff und stillt seinen großen Wissensdurst. Als Jugendlicher bekommt er eine Lehrstelle als Telegrafist. Er durchstöbert Fachbücher und Zeitschriften, um alles über die Telegrafentechnik zu lernen. Er beginnt eigene Experimente zur Elektrotechnik.
Der Name dieses jungen Mannes ist Thomas Edison. Seine Entdeckungen in den Bereichen elektrisches Licht und Telekommunikation leiten ein neues Zeitalter ein. Seine Entdeckungen sind bahnbrechend für die Erfindung der Schreibmaschine, der Glühbirne und des Telefons. Wie glücklich wird seine Mutter gewesen sein über diese Errungenschaften ihres Sohnes!
Vier Jahre nach dem Tod der Mutter stöbert Thomas in alten Papieren herum. Plötzlich stößt er auf den Brief des Lehrers. „Ihr Sohn ist geistig behindert… Wir können ihn an unserer Schule nicht mehr unterrichten…“ Er weint viele Tränen. Welch eine Liebe hat ihm seine Mutter geschenkt! Welche Zuversicht hat sie stets in ihn gesetzt! Viele Erinnerungen tauchen in ihm auf. Schließlich schreibt er in sein Tagebuch:
„Thomas Alva Edison war ein geistig behindertes Kind. Durch eine heldenhafte Mutter wurde er zum größten Genie des Jahrhunderts.“
(nacherzählt von Gabriele Koenigs, aus dem Tagebuch von Thomas Edison)
In der Bibel heißt es: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ (Psalm 126)
Die Mutter von Thomas Edison ist das beste Beispiel für diese Wahrheit. Tränen gehören zu unserem Leben. Missverstanden werden, ungerecht behandelt werden, ausgeschlossen werden und viele andere Geschehnisse tun uns weh. Kein Wunder, dass wir weinen! Es ist eine gesunde Reaktion auf erlittenes Leid. Wir brauchen die Tränen nicht unterdrücken oder zurückhalten. Aber weinen allein hilft noch nicht. „Mit Tränen säen“ verstehe ich so: Etwas tun für eine bessere Zukunft. Tun, was jetzt möglich ist. Die Ernte kommt später. Das Neue muss erst wachsen. Aber wir leben darauf hin. Wir legen die Hände nicht in den Schoß. Vertrauensvoll leben wir der Verheißung entgegen.
In meinem Bild habe ich die Tränenströme angedeutet. Sie fallen auf das Land und bringen neues Leben hervor. Im mittleren Bereich zeige ich die leuchtende Freude, gold und orange. Das steht für die Freude der Ernte.
Es ist ein Hoffnungsbild geworden, mein erstes Bild im Jahr 2021.
Ich wünsche euch und Ihnen einen schönen Sonntag und eine gute Woche!
Gabriele Koenigs
P.S: Dieses Bild und diese Geschichte werden in meinem neuen Buch enthalten sein. Es wird voraussichtlich am 15. Juni 2021 erscheinen. Der Titel wird heißen: Alles wird gut.
Hier können Sie eine Motette von Heinrich Schütz zum Psalmvers hören. Sehr empfehlenswert! Es sind sogar die Noten dabei!
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