Elisabeth spricht beinahe gar nicht. Wenn sie etwas gefragt wird, antwortet sie mit Kopfnicken oder Kopfschütteln. Aus ihrem Mund kommt selten ein Wort. Sie scheut die Gesellschaft von Menschen. Nur im Wald geht es ihr gut. So oft sie kann, besucht sie ihre Lieblingsplätze im Wald. Ein Baum hat es ihr besonders angetan. Ihm flüstert sie zu, was sie erlebt hat. Ihn umarmt sie. An ihn lehnt sie sich an. Er ist groß und stark und uralt. Seine Wurzeln reichen tief hinab in die Erde. Seine Äste reichen hoch in den Himmel. Und er duftet so gut. Er duftet nach Erde und Moos und Rinde. Seine Borke ist rauh.
“Oh, hätte ich nur auch so eine rauhe Haut”, denkt sie manchmal. “Dann würde mich niemand so eklig anfassen!”
Elisabeth wird immer wieder von ihrem Onkel missbraucht. Heimlich macht er sich über sie her, wenn er sie zu fassen bekommt. Er hält ihr den Mund zu und droht: “Wehe, wenn du jemandem etwas sagst!” “Ich bringe dich um, wenn du auch nur ein Wörtchen sagst!” Sie glaubt ihm das. Er ist so furchtbar brutal. Er ist zu allem fähig. Darum verschluckt sie alle ihre Worte. Einmal hat sie versucht, zu ihrer Großmutter etwas zu sagen. Diese reagierte empört. “Was hast du für eine schlimme Fantasie! Hör auf, solchen Mist zu erzählen!” Danach hat sie es nie mehr versucht. Ihre Eltern haben sich getrennt. Keiner von beiden konnte für ihr Kind sorgen. Darum lebt sie jetzt bei den Großeltern. Sie hat niemanden, dem sie sich anvertrauen kann. Niemanden außer die Bäume und die Vögel. Niemanden als den lieben Gott. Nur im Wald ist sie frei. Hier hat sie keine Angst. Hier singt sie leise ihr Lied. Hier lebt sie auf. Hier vergisst sie sich selbst. Hier betet sie. Hier wird sie getröstet.
Elisabeth ekelt sich vor sich selbst. Sie ekelt sich vor den Gerüchen, die ihr Onkel auf ihrem Körper hinterlässt. Sie wäscht sich oft. Von ihrem Taschengeld kauft sie sich gut duftende Seifen. Aber nichts duftet so gut wie der Wald. Hier passiert nichts Ekliges und nichts Böses. Der Boden duftet nach Wärme und Unschuld. Der Baum duftet nach Stärke. Die Blätter duften nach Frische. Am schönsten ist die Zeit, wenn die Beeren reif sind. Sie labt sich an den kleinen Walderdbeeren und an den Heidelbeeren. „Wir helfen dir“, flüstern die Beeren ihr zu. „Wir geben dir Kräfte!“ „Einmal wirst du groß sein, und dann lässt du dir nichts mehr gefallen!“ „So lange musst du durchhalten!“
Inzwischen ist sie eine reife Frau. Sie ist einen langen Heilungsweg gegangen, Schritt für Schritt. In der Therapie lernte sie, über das Unsagbare zu sprechen. Sie hat gelernt, Berührungen zuzulassen und nicht mehr davor zurückzuschrecken. Das war das Schwierigste. Sie hat auch gelernt, sich abzugrenzen. Nein sagen, das musste sie sehr oft üben. Laut werden war beinahe unmöglich. Aber auch das kann sie nun, wenn es unbedingt notwendig ist. Sie hat jetzt etwas Spannendes begonnen. Sie macht eine Ausbildung als Massagetherapeutin. Sie lernt, andere Körper heilsam zu berühren. In der Ausbildungsgruppe üben sie untereinander. Jede darf auf die Liege und sich berühren lassen. Sie geben einander Rückmeldung, welche Berührungen guttun und welche nicht. Inzwischen freut sie sich schon darauf, mit Patientinnen und Patienten zu arbeiten.
Der Mensch ist mehr als sein Körper und seine Gefühle. Das hat sie schon als kleines Mädchen bemerkt. In den schlimmsten Augenblicken war es, als ob sie ihren Körper verließe und von außen beobachtete, was mit ihr geschieht. Gefühle sind heftig und ändern sich rasch. Auch das hat sie schon als Mädchen bemerkt. Das wahre Wesen ist mehr. Es ist unantastbar und heilig. Es wohnt im Körper, aber es ist mehr. Es fällt ihr nach wie vor schwer, darüber zu sprechen. Aber sie trägt jetzt in sich die Gewissheit, dass ihre Seele rein ist und ohne Schuld. Und dass sie sich auf die göttliche Liebe immer verlassen kann.
Auch heute hat sie eine tiefe Beziehung zum Wald und zur Mutter Erde. Manchmal streichelt sie über die Wurzeln eines Baumes oder lehnt sich an einen Stamm. In ihrem Garten sät und erntet sie, was auf ihren Tisch kommt. Oft hebt sie ihren Blick zum Himmel. Sie singt. Sie summt. Sie betet. Sie dankt. Und sie tröstet andere, die es jetzt nötig haben.
„Du gibst meiner Seele große Kraft“, heißt es in einem Psalm in der Bibel. Elisabeth ist das beste Beispiel dafür. Die Begegnungen mit ihr haben mich tief bewegt. Ich bin froh und dankbar, dass sie durchgekommen ist. Ich bin so fasziniert von ihrem empfindsamen und starken Wesen. Beim Malen meines Bildes war ich nochmals in Gedanken sehr bei ihr.
Ich wünsche Ihnen allen und euch allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche
Gabriele Koenigs
Nun ist mein neues Buch erschienen, in welchem die Ermutigungen der letzten Monate gesammelt sind. Ein Fest fürs Auge, eine Stärkung für die Seele und ein wunderschönes Geschenk! Sie können es sehr gerne bei mir bestellen. Ich sende es gegen Rechnung zu.
Alles wird gut. Geschichten und Gemälde von Gabriele Koenigs.
Das Buchist im Juni 2021 erschienen. Es enthält 68 Innenseiten mit Geschichten und Gemälden. Die Gemälde und Geschichten sind überwiegend im Jahr 2021 entstanden. Es ist auf hochwertiges Bilderdruckpapier gedruckt. Es hat einen festen Einband und ist mit Fadenheftung gebunden. Es eignet sich als hochwertiges Geschenk.
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Hier kommt ein Trostlied für alle, die durch solche schwierige Erfahrungen gehen. This is my prayer for you: Dies ist mein Gebet für dich!
Viel Freude beim Anhören!
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