Begegnung am See

Die Ruhe bewahren. Aquarell von Gabriele Koenigs (2019). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 50 cm x 40 cm. Als Original erhältlich
Die Ruhe bewahren. Aquarell von Gabriele Koenigs (2019). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 50 cm x 40 cm. Als Original erhältlich

Ich saß am Ufer eines Sees auf einem Bootssteg. Ich ließ die Füße ins Wasser hängen und genoss die angenehme Kühle des Wassers. Das Schönste war die große Ruhe auf dem See. Nur ein paar Schwimmer und Paddler waren unterwegs. Und ich hatte keine Eile mit der Heimfahrt. Ich konnte mir den ganzen Tag Zeit lassen. So nahm ich mein Tagebuch und schrieb dort hinein, was mich beschäftigte. Seite um Seite füllte sich. Ich vergaß alles um mich her. Es war gut, meine Gedanken zu sortieren, bevor ich wieder in den Alltag zurückkehrte.

 

Als ich einmal von meinem Tagebuch aufschaute, sprach mich eine junge Frau an. "Schreiben Sie oft in Ihr Tagebuch?" Ich hatte sie bis dahin gar nicht bemerkt. Dabei saß sie nur ein paar Meter neben mir auf dem Steg. "Ja", antwortete ich. "So oft es geht. Warum fragen Sie?" Sie schaute mich an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Ich bin gerade in einer sehr schwierigen Lebenssituation. Ich denke, mir würde es auch gut tun, Tagebuch zu schreiben. Ich habe mir sogar schon eines gekauft. Trotzdem finde ich den Anfang nicht."

 

Ich erzählte ihr, dass ich schon ganz früh angefangen habe, Tagebuch zu schreiben. Ich war ein stilles Mädchen, scheu und ängstlich. In unserer Familie wurden wir heftig bestraft, wenn etwas aus dem Munde kam, das den Eltern nicht genehm war. Ich musste es meistens verschlucken. Mein Tagebuch war meine Rettung. Ihm konnte ich alles anvertrauen. Ich lernte, meine Gedanken zu formulieren. Dabei beruhigte und klärte sich vieles in mir. Und ich bekam ein Gefühl für mich selbst: für meine eigenen Gedanken und Gefühle.

 

Und ich erzählte ihr, dass ich meine Einträge mit einer Anrede begann. "Lieber Gott...", schrieb ich. Anne Frank hatte mich auf diese Idee gebracht. Sie hatte ihre Einträge mit der Anrede "Liebe Kitty..." begonnen. Sie hatte eine Freundin erfunden, der sie von ihren Empfindungen und Erfahrungen erzählte, Tag für Tag. Ich wollte keiner erfundenen Person schreiben, sondern dem Vater im Himmel, dessen Liebe mein Halt war. 

 

"Das ist eine gute Idee", sagte die junge Frau. "So zu schreiben, als würde ich es jemandem erzählen, das macht es leichter!" Ihre Augen leuchteten. Sie fing an nachzudenken, wie ihre Anrede heißten könnte. "Ich werde schreiben: Liebes Universum...." Heute abend fange ich damit an".

 

Wir hatten ein schönes Gespräch dort in der Ruhe am See. Wir sind einander nahe gekommen, ganz unerwartet. Wir hatten Zeit füreinander. Es war, als hätte es so sein müssen, dass wir einander begegnen. Es war, als sei es so gefügt.

Eines Tages wird sie mir schreiben und mir erzählen, wie es geht mit ihrem Tagebuch. Eines Tages wird sie sich besser fühlen. Sie wird wieder froh sein. Ob wir einander nochmals sehen, ist offen. Es ist nicht unbedingt nötig. Manchmal kann in einer einmaligen Begegnung alles enthalten sein, was weiterhilft. Ich erlebe dies immer wieder und bin froh und dankbar dafür.

 

Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche!

Gabriele Koenigs


Hier kommt eine schöne Aufnahme eines Liedes aus Taizé: "O Lord hear my prayer. When I call, answer me. O Lord hear my prayer. Come and listen to me!" 

(Übersetzt: O Gott, hör mein Gebet. Wenn ich rufe, antworte mir. O Gott, hör mein Gebet. Komm und höre mir zu!") 

 

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