Die Steine singen mit

Über den Abgründen wird es licht. Abstraktes Bild von Gabriele Koenigs (2018) in Mischtechnik auf Leinwand 60 cm x 50 cm.
Über den Abgründen wird es licht. Abstraktes Bild von Gabriele Koenigs (2018) in Mischtechnik auf Leinwand 60 cm x 50 cm.

Wenn Hanna singt, singen die Steine mit. Die Töne strömen durch sie hindurch. Sie lauscht den Tönen nach. Sie hört den Nachhall im Kirchengewölbe. Die Steine singen. Erst wenn die Steine wieder still sind, singt sie die nächsten Töne. So kommt eine große Ruhe und Ehrfurcht in ihren Gesang. Alle, die zuhören, werden davon mit ergriffen. Vor kurzem schrieb eine Zeitungsreporterin: "Das war Musik mit Gänsehautgefühl."

 

Hanna hat bei meiner Vernissage gesungen. Es war Glück pur, sie zu hören - für mich und für alle Gäste. Hanna tritt ganz selten auf. Meistens singt sie, wenn sie alleine ist, zuhause oder unterwegs. Und sie singt in intimen Situationen, für ein, zwei oder mehr Leute. 

 

"Wenn ich in einer Bruderhofgemeinschaft leben würde, würde ich Nachtwächterin sein", sagte sie neulich zu mir. In diesen Gemeinschaften, in denen Jung und Alt zusammenleben mit den Regeln aus dem Evangelium, gibt es Menschen, die nachts um die Siedlung gehen. Sie bleiben bei den Häusern stehen, in denen ein Kranker liegt. Dort singen sie ein paar Lieder, den Kranken und Schlaflosen zum Trost. Dann ziehen sie weiter durch die Nacht bis zum nächsten Haus, in dem jemand ihres Gesanges bedarf. "Ich versuche das in kleinem Stil", sagt Hanna. Wenn sie gerufen wird, kommt sie zu Kranken und Sterbenden. Sie singt im Zimmer der Kranken oder draußen vor dem Haus. Die drinnen hören durchs offene Fenster ihren Gesang. Der Friede, der darinnen liegt, steckt an. Sterbende werden ruhig. Angehörige werden getröstet. Es geschieht ganz schlicht und ergreifend. 

 

Hanna hat dies von ihrer Mutter gelernt. Diese sang oft: Bei der Hausarbeit, am Feierabend. Beim Wandern, beim Fahrradfahren, am Bett ihrer Kinder. Schon im Mutterleib hörte Hanna die innigen Töne ihrer Mutter. Als sie geboren war, war es das Natürlichste, ihr kleines Stimmchen zu verbinden mit der wunderschönen Stimme der Mutter. Sie lernte Singen genauso natürlich wie Sprechen, einfach durch Nachahmung und Mitmachen. Alle Geschwister und ihr Vater sangen auch. Sie hatten immer Spaß dabei. Sie improvisierten mit den Stimmen und sangen mehrstimmig und im Kanon. Liederbücher brauchten sie selten. Das Repertoire war unerschöpflich. Es gab Lieder für alle Tageszeiten und Jahreszeiten. Lieder für den Übermut und Lieder für die Traurigkeit. Lieder für das Gotteslob und für die Fragen. Hanna singt die alten Lieder, die sie noch von zuhause kennt, und sie greift sehr gerne auch Neues auf. Ihr Repertoire wächst ständig. Und sie nimmt sich die Freiheit, Texte abzuwandeln, so wie es ihr nötig erscheint. 

 

Im Lied "Jesu, geh voran..." gibt es eine merkwürdige Strophe: 

"Solls uns hart ergehn, lass uns feste stehn und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen; denn durch Trübsal hier geht der Weg zu Dir." Das kann sie und will sie nicht singen. Sie hat den Text abgewandelt: 

"Soll's uns hart ergehn, lass uns feste stehn und auch in den schwersten Tagen immer dir die Lasten klagen. Denn durch Trübsal hier geht der Weg zu dir." 

Wie anders wird dieser Vers durch diese Änderung!!!! Er wird frei von dieser unmenschlichen Forderung, die gar nicht zu erfüllen ist. Stattdessen stärkt er die Beziehung zum liebenden Gott. 

 

Ab und zu gibt es Tage, in der selbst in ihr der Gesang wie erstorben ist. Das sind die schwersten Tage. Das ist kaum zu ertragen. Es kann vorkommen, dass sie sich dann an ihr Klavier setzt und den Tönen lauscht, die das Klavier hervorbringt. Und es kann vorkommen, dass plötzlich auch in ihr der Ton wieder erwacht, ganz vorsichtig und leise. Die Seele macht sich Luft. Der Druck wird milder. Gesang befreit. Selbst wenn er ganz leise und schwach ist. Er ist nicht da, um jemanden zu beeindrucken. Er ist wahrhaftiger Ausdruck der Seele. Er braucht gar keine Zuhörer. Er braucht gar nicht kunstvoll sein. Ganz im Gegenteil: Das Schlichte hilft am meisten. 

 

Ich fühle eine tiefe Seelenverwandtschaft zu Hanna. Auch in meinem Leben spielt das Singen eine große Rolle. Und in meiner Ausstellung ertönt immer wieder Gesang. Ich singe alleine und mit anderen. Wir singen ganz schlicht. Und die Steine singen mit. 

 

"Ich will Gott loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin." 

(Psalm 146,2). 

 

Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche. 

Gabriele Koenigs 

P.S: Heute ist mein letzter Ausstellungstag in der Alexanderkirche in Marbach. Eine wunderschöne Zeit geht zu Ende. Heute Abend wollen wir sie abschließen mit einem fröhlichen Abschlussfest (Finissage). Es beginnt um 18 Uhr. Alle sind dazu ganz herzlich eingeladen. 

Und auf jeden Fall gibt es auch heute Abend Musik und Gesang!!!!! 

 

 


Hier kommt das schöne LIed: "Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen...", mit Klavierbegleitung zum Mitsingen. Und es ist kein Gesangbuch nötig, da der Text eingeblendet wird! Viel Freude dabei!!!!! 

 

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Heute ist der letzte Tag, an dem mein neues Buch zum Sonderpreis von 17,50 € erworben  werden kann. Sie können es online bestellen oder in der Alexanderkirche mitnehmen. Ab morgen wird es 19,50 € kosten. 

Dein Licht leuchtet. Ermutigungen von Gabriele Koenigs

 

Das Buch ist am 12.8.2022 erschienen. Es enthält 68 Innenseiten mit Bildern und Geschichten von Gabriele Koenigs. Es ist  in exzellenter Qualität auf Bilderdruckpapier gedruckt und mit Fadenheftung gebunden.  Es hat einen festen Einband und eignet sich als hochwertiges Geschenk. 

 

Bis zum 11.9. 2022 erhalten Sie es zum Vorzugspreis von 17,50 €. Danach wird es 19,50 € kosten. 

 

Bitte vermerken  Sie bei der Bestellung, ob Sie eine Signatur oder eine Widmung wünschen. 

 

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