Katharina hat in ihrem langen Leben viel Post bekommen. Karten zu Weihnachten und zu Geburtstagen, Briefe von Freunden und Verwandten, Liebesbriefe, Briefe von Kollegen und Menschen, die sich ihr anvertraut haben. Sie hat sie in sieben großen Schachteln aufbewahrt. Bei jedem Umzug hat sie sich gefragt, ob diese Schachteln wirklich noch einen Sinn haben, zumal sie fast nie hineingeschaut hat. Dennoch hat sie sie behalten. Nun ist sie nicht mehr berufstätig und hat viel freie Zeit. Nun hat sie sich ein großes Projekt vorgenommen. Sie liest alle diese Briefe noch einmal.
Sie stößt dabei auf Namen von Menschen, die einmal zu ihrem Leben gehört haben. Manche sind ihr noch ganz deutlich in Erinnerung. An andere hat sie schon lange nicht mehr gedacht. Beim Lesen tauchen die Erinnerungen allmählich wieder auf. Peter. Klaus. Annette. Klara. Gabi. Dieter. Rolf. Susanne. Ingeborg. Hertha. Heiner. Karin. Jede und jeder von ihnen war ein Teil ihres Lebens. Jede und jeder von ihnen hat etwas für sie bedeutet. Viele von ihnen leben noch. Andere sind inzwischen verstorben. Sie weiß es gar nicht von allen. Mit Hilfe des Internets macht sie sich auf die Suche nach denen, zu denen sie den Kontakt verloren hat. Ab und zu findet sie wirklich jemanden. So hat sie auch mich wieder gefunden.
"Erinnerst du dich noch an mich, deine Studienfreundin aus Berlin? Ich habe zwei Briefe gefunden, die du mir geschrieben hast. Einen hast du mir aus dem Schwarzwald geschrieben, kurz vor deinem Aufbruch zum Studienjahr nach Amsterdam. Der andere flog aus Amsterdam zu mir nach Jerusalem, wo ich ein Studienjahr machte. Ich staune, wie intensive lange Briefe wir einander damals geschrieben haben und wie nah wir einander waren." So schrieb sie mir vor einigen Wochen. Ich freute mich sehr über ihr Email und habe gleich geantwortet. Wir hatten uns aus den Augen verloren. Aber nun sind wir wieder im Kontakt. Bald wollen wir uns treffen.
Dass wir uns aus den Augen verloren hatten, hängt mit unseren Lebensumständen zusammen. Und es hängt auch an einer Meinungsverschiedenheit, die damals zwischen uns auftauchte. Ich konnte eine Entscheidung nicht akzeptieren, die sie damals getroffen hat. Jetzt haben wir uns zusammen daran erinnert, was es war. Inzwischen denke ich über dieses Thema, das damals zwischen uns stand, ganz anders. Wie dumm war es, dass ich in meinem jugendlichen Eifer so hart über sie geurteilt hatte. Aus heutiger Sicht tut es mir leid. Aus heutiger Sicht würde ich es nicht mehr tun. Ich bin froh, dass wir diese Geschichte nun bereinigen können. Und ich finde es spannend, dass wir einander erzählen können, was wir inzwischen erlebt und gelernt haben.
Diese neu auflebende Beziehung gehört zu den schönen Überraschungen, die mir das vergangene Jahr gebracht hat. Ich hätte das niemals erwartet. Ich bin sehr dankbar dafür. Auch das kommende Jahr wird Überraschendes bringen. Nicht nur für mich. Auch für euch und für Sie. Das Leben ist und bleibt ein Abenteuer. Immer wieder leuchtet uns das Licht. Immer wieder bringt es uns Erkenntnis. Immer wieder führt es uns in die Wahrheit.
Dag Hammarskjöld hat ein Tagebuch hinterlassen, in dem er seine wesentlichen Erkenntnisse in kurzen Aphorismen notiert hat. Er schreibt darin: "Dem Vergangenen: Dank. Dem Kommenden: Ja!"
So rufe ich in mir an diesem Jahreswechsel den Dank und das Vertrauen und die Erwartung. Ich empfehle es auch Ihnen und Euch. Ein gutes neues Jahr für alle!
Gabriele Koenigs
Hier hören Sie eine wunderschöne Vertonung des Chorals "Nun danket alle Gott" von Johann Pachelbel, gesungen von einem Hochschulchor aus Amerika (The Wartburg choir).
Hier ist der Text:
Nun danket alle Gott,
der große Dinge tut
an allen Enden,
der uns von Mutter Leibe
an lebendig erhält
und tut uns alles Guts.
Er gebe uns ein fröhlich Herz
und verleihe immerdar Friede
zu unsern Zeiten in Israel
und dass seine Gnade stets uns bleibe
und erlöse uns solange wir leben.
Nun danket alle Gott
mit Herzen, Mund und Händen,
der große Dinge tut
an uns und allen Enden,
der uns von Mutterleib
und Kindesbeinen an
unzählig viel zu gut
und noch jetzund getan.
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Vielleicht lockt es Sie, Ihr Gesangbuch herzunehmen und die Verse des Chorals zu lesen oder zu singen, so wie wir sie gewohnt sind????
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