Ein Stein fällt vom Herzen

Es wird leichter. Abstraktes Gemälde in Mischtechnik auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2023). 100 cm x 100 cm. Als Original und als Kunstkarte erhältlich
Es wird leichter. Abstraktes Gemälde in Mischtechnik auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2023). 100 cm x 100 cm. Als Original und als Kunstkarte erhältlich

Klara war eine fromme, fleißige und bescheidene Frau. Es gab immer viel zu tun. Sie umsorgte ihren Mann und ihre beiden Kinder. Sie gab ihr Bestes. Und etwas war ihr besonders wichtig: Vor und nach jedem Essen wurde gebetet. Jeden Tag wurde die Losung gelesen. Jeden Tag wurde das Vaterunser gebetet. Und jeden Sonntag ging die ganze Familie zur Kirche. Es wäre undenkbar gewesen, das einmal ausfallen zu lassen! Ihr Mann und ihre Kinder fügten sich. Es war ihnen manchmal lästig. Aber die strenge Ordnung gab ihnen auch Halt. 

 

Ihre Tochter Anna hörte eines Tages im Gottesdienst die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. "Er ist nicht brav an der Hand seiner Mutter nachhause gegangen", dachte sie. "Er war selbst unterwegs und hatte seine eigenen Gedanken über Gott und die Welt!" Als sie das hörte, war sie auch gerade zwölf Jahre alt. Sie fing an, sich ihre eigenen Gedanken über Gott und die Welt zu machen. 

 

Sie durfte das Gymnasium besuchen. Dazu musste sie mit dem Schulbus nach Ulm fahren. "Du darfst niemals den Bus verpassen", schärfte ihre Mutter ihr ein, schon vor dem ersten Schultag. "Wir haben kein Auto. Wir können dich nicht holen. Wenn du den Bus verpasst, kommst du nicht mehr nach Hause." Wie ein Schreckgespenst war diese Vorstellung, mutterseelenallein in der großen Stadt zu stehen und nicht zu wissen, wohin. Anna fürchtete sich. Noch mehr fürchtete sich ihre Mutter. 

Eines Tages fuhr ihr Vater mit nach Ulm. Er sagte: "Komm, wir gehen jetzt an den Bahnhof. Ich zeige dir, wie man Fahrplan liest und wo der Zug abfährt. Wenn du den Bus aus irgendeinem Grund verpasst, kannst du mit dem Zug in den Nachbarort fahren. Der Zug fährt mehrmals am Tag. Von dort sind es nur 2 km zu Fuß. Das schaffst du!" Anna war froh, dass er ihr diesen Ausweg zeigte. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. 

 

Anna war gerne in der Schule. Dort gab es so viel Neues und Interessantes zu lernen. Auch sie gab ihr Bestes. Sie war eine gute Schülerin. Als es darum ging, welchen Beruf sie einmal ergreifen könnte, dachte sie: "Lehrerin wäre etwas Schönes! Und wenn ich das Fach Religion nehme, wird das meinen Eltern sehr gefallen. Dann lassen sie mich gerne ziehen." So war es auch. 

 

An der Pädagogischen Hochschule wehte ein anderer Wind als zuhause. Das Klima an der Hochschule war von Freiheit geprägt. Keine Frage war verboten, ganz im Gegenteil. Professoren und Studenten durchdachten den Glauben neu. Anna lernte die Bibelverse in ihrem Zusammenhang lesen und verstehen. Sie saugte das Wissen auf wie ein Schwamm. Und die Professoren legten ihnen ans Herz: "Ihr sollt im Religionsunterricht niemals Angst verbreiten!" "Erzählt den Kindern von der Liebe Gottes!" "Gebt ihnen Gottesbilder, die Mut machen!" Anna ging auf die Suche, zusammen mit ihren Mitstudentinnen und -studenten. Welche Lieder wollen wir den Kindern beibringen? Welche Gebete? Welche Bibelverse sollen sie lernen? Indem sie das im Hinblick auf die Kinder überlegten, suchten sie zugleich für sich selbst. 

 

Eines Tages kam Klara zu Besuch. Anna war inzwischen Lehrerin geworden und hatte eine eigene Wohnung. An der Tür ihres Arbeitszimmers hatte sie eine Karte aufgehängt, die ihr viel bedeutete. Ein Vers aus der Bibel in der Übertragung von Jörg Zink war dort typographisch gestaltet und mit einem Schmuckrahmen versehen: 

 

"Ich freue mich an Gott. 

Meine Seele ist fröhlich über Gott. 

Denn er hat mir ein Festkleid angelegt und gesagt: 

Es ist alles gut zwischen dir und mir!'" (Jesaja 61, 10)

 

Staunend steht Klara da. Diesen Vers hat sie noch nie gelesen. Sie liest wieder und wieder. "Glaubst du das, Anna, fragt sie". "Ja, Mama, das glaube ich." 

Klara antwortet: "Das ist aber schön!" Ihre Augen leuchten. Sie sieht aus, als sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen. 

 

""Es ist alles gut zwischen mir und dir!" Welch eine Zusage! Bis dahin hat sich Klara immer wieder gefragt, ob sie wirklich gut und fromm und tüchtig genug ist. Bin ich Gott wirklich recht? Ihre Frömmigkeit war mit einer großen Angst verbunden. Diese Angst sitzt in vielen Glaubenden. Sie wurde weitergegeben von Generation zu Generation. Gott wurde missbraucht, um die Menschen klein und gefügig und ängstlich zu halten. Das hat vielen Menschen den Glauben vergiftet und die Lebensfreude geraubt. Dabei ist doch Gott einer, der uns die Lebensfreude und das Festkleid gönnt! 

 

Anna freut sich, dass ihre Mutter sich für diese Zusage öffnen konnte, voller Staunen und Freude.  Im Lauf ihrer 86 Lebensjahre hat sie immer mehr innere Freiheit und Sicherheit gewonnen. Das war schön. Anna ist dankbar dafür. Sie wird den Moment niemals vergessen, als ihrer Mutter ein Stein vom Herzen fiel. Sie hat mir gerne davon erzählt. Und ich bin froh, dass sie mir erlaubt hat, es hier weiterzuerzählen. 

 

Mögen wir alle solche Momente erleben, in denen es uns leichter wird!  

 

Alles Liebe und Gute für Sie und für Euch! 

Gabriele Koenigs  


Hier kommt ein Loblied zum Mitsingen. Der Text wird eingeblendet. Mindestens der Refrain geht ganz einfach. Anna hat es für Sie und für euch ausgesucht. Viel Freude beim Hören und Singen! 

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Jeden Sonntag veröffentliche ich eine Ermutigung, bestehend aus Bild und Text und Musik. Schicken Sie mir bitte eine Nachricht, falls Sie diese Ermutigungen abonnieren möchten. Sie bekommen sie dann jeden Sonntag per Email zugeschickt. 


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Kommentare: 4
  • #1

    Harald (Sonntag, 04 August 2024 10:57)

    Ihr Lieben,
    die Geschichte beschreibt auf wunderbare Weise, welch spannende Aufgabe es ist, die eigenen Kinder ziehen zu lassen. Und natürlich ist es wunderschön wenn man sie viele Jahre begleiten und später zusehen darf, dass es wunderbare Menschen wurden und sind. Meine Frau Bettina und ich durften dieses Wunder zwei Mal erleben.
    Ich freue mich für Klara, dass sie dieses Wunder mit Anna auch erleben durfte (Unsere Tochter ist auch eine Anna). Von Herzen ganz liebe Grüße an euch alle.
    Harald

  • #2

    Joanna (Sonntag, 04 August 2024 13:10)

    Ja ,es ist sehr wichtig und auch leichter das uns jemand andere Ausweg zeigt.Mir wird auch von verschiedene Menschen eine leichtere und einfache Ausweg gezeigt ,weil ich immer wieder mir schwerer mache als es ist.Schöne Sonntag und und gute Woche Ihnen

  • #3

    Wolfgang (Montag, 05 August 2024 12:28)

    Ganz herzlichen Dank für die Geschichte der Ermutigung, des Aufatmens und der Freiheit,..viele Grüße

  • #4

    Gaby Wilcke (Dienstag, 13 August 2024 18:48)

    Liebe Gabriele, ich lese sehr gerne jede Woche deine Kolumne und freue mich schon auf die nächste. Jedesmal berührst du mein Herz. Jedes Mal ist eine Stelle dabei, die mich zu Tränen rührt. Du weißt, wie man Menschen berührt - das ist eine große Gabe.
    Ich hoffe, du sendest noch viele Jahre lang deine Ermutigungen, denn genau das sind sie für mich. Ich danke dir sehr dafür.
    In herzlicher Verbundenheit, Gaby