Martin ist einer der wenigen Männer, zu denen ich aufschauen kann. Er ist viel größer als ich. Und er beeindruckt mich nicht nur durch seine Körpergröße, sondern durch sein Wesen und seine Einstellung zum Leben. Vor beinahe 20 Jahren habe ich ihn kennengelernt. Er kam damals als Patient in das Neurologische Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad. Ich arbeitete dort als Klinikseelsorgerin. Wir hatten damals schon sehr gute Begegnungen und Gespräche. Im Lauf der Jahre hat sich eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. Wir hielten den Kontakt, auch nach dem Wechsel meines Berufs. Eines Tages erzählte er mir voller Freude, dass er die Frau gefunden hat, mit der er fortan sein Leben teilen möchte. Sie heißt Stefanie. Sie ist eine feinfühlige Frau mit großer innerer Stärke. Die beiden kamen zum Kennenlernen und zum Traugespräch zu mir. Vor 5 Jahren durfte ich sie in der englischen Kirche in Bad Wildbad trauen.
Martin hat Multiple Sklerose und eine schwere Erbkrankheit, das "Marfan-Syndrom". Patienten mit dieser Krankheit werden außergewöhnlich groß, und sie haben sehr schwache Blutgefäße. Jederzeit kann eines platzen. So ist es auch bei Martin schon mehrmals geschehen. Immer wieder war er dem Tode nahe. Jedes Mal konnte er gerettet werden. Sein Gottvertrauen ist riesengroß, und sein Lebenswille auch. Jesus ist sein bester Freund. Er fühlt seine Nähe selbst in den schwersten Zeiten. Ja, gerade dann ist er ihm besonders nah.
Vor einem Jahr hatte er eine schwere Operation am Herzen. Seine Hauptschlagader musste ersetzt werden, weil sie verletzt war und zu platzen drohte. Anschließend lag er mehrere Wochen lang im Koma. Stefanie war bei ihm, in großer Treue. Sie wich kaum von seinem Bett. Aber er kann sich an diese Zeit gar nicht erinnern. Insgesamt war er nach dieser Operation mehr als 9 Monate im Krankenhaus. Ganz allmählich kam er wieder zu Bewusstsein. Es war ein großer Moment, als er endlich wieder die Augen aufschlug und seine geliebte Frau erkannte. Es waren große Momente, als er sich wieder äußern konnte, zuerst mit dem Stift auf Papier, danach mit gesprochenen Worten. Welche Freude, als er zum ersten Mal das Bett verlassen konnte! Allerdings ist er seit der Operation teilweise gelähmt. Er hat kein Gefühl im Unterleib und kann nicht mehr auf seinen langen Beinen stehen. Immer wieder bekommt er sehr hohes Fieber und leidet unter extremer Schwäche.
Stefanie hat während dieser ganzen Zeit das Leben für beide organisiert: Anträge bei der Krankenkasse stellen, die Wohnung umgestalten, ein Pflegebett besorgen, Wäsche waschen, mit Ärzten und Therapeuten sprechen, Termine für Behandlungen und Pflege ausmachen. Eine unendliche Fülle von Aufgaben war für sie zu erledigen. Der große Freundeskreis wollte Anteil nehmen und wissen, wie es Martin geht. Sie hatte nicht so viel Zeit, um alle Anrufe entgegenzunehmen. So hat sie eine Gruppe bei WhatsApp eingerichtet und uns dort immer mit den neuesten Nachrichten versorgt. Martin hat jeden Tag ihrem Besuch entgegengefiebert. Sie machte es möglich, unter Aufbietung aller Kräfte. Sie musste das alles neben ihrer Berufstätigkeit bewältigen. Denn sie verdient das Geld für beide. Immer wieder ist sie an den Rand ihrer Kräfte gekommen. Aber sie ist tapfer. Sie bekommt Kraft von oben. Für Martin tut sie alles.
Vor einigen Wochen haben die beiden zum "Fest der Liebe und des Lebens" eingeladen. Es war der 50. Geburtstag von Martin. Kurz vorher war er vom Krankenhaus entlassen worden. Es war noch ein größeres Fest als die Hochzeit vor 5 Jahren. Der ganze Freundeskreis war zusammengekommen, um mit den beiden zu feiern. Martin saß im Rollstuhl und hielt eine bewegende Rede. Anschließend gab es Musik und Tanz. Sie hatten eine Band engagiert. Sie sang ihr Lied: "Alles wird gut!" Eine Freundin schob den Rollstuhl, so dass Stefanie die Hände ihres geliebten Mannes ergreifen und mit ihm tanzen konnte. Welch ein besonderer Moment!
Seit ein paar Tagen darf Martin wieder im Quellenhof sein. Er hat das große Ziel, dort wieder gehen und stehen zu lernen. Ein paar Schritte mit dem Rollator gehen, das wäre schon wunderbar. Er wird alles daran setzen, das zu erreichen. Schon die ersten Tage dort haben ihm unendlich gut getan. Er ist gerührt, wie viel Aufmerksamkeit und Zuwendung ihm dort entgegengebracht wird. Das ist nicht in jeder Klinik so. Er hat auch ganz anderes erlebt. Aber im Quellenhof arbeiten Menschen mit viel Idealismus, Menschenliebe, Erfahrung und Fachkompetenz. Einige kennen ihn noch von früheren Aufenthalten. Sie werden ihr Bestes geben, um ihn auf seinem Heilungsweg zu unterstützen. Martin und Stefanie sind zuversichtlich, und ich bin es auch.
Liebe ist das Größte im Leben. Als ich das Aquarell der beiden Hände erschuf, setzte ich Goldpigment in den Hintergrund. Ich wollte schon damals ausdrücken, wie wertvoll die Liebe ist. Damals konnten wir noch nicht ahnen, durch welche Schwierigkeiten die beiden hindurch müssen. Es ist gut, dass man so etwas nicht im Vorhinein weiß. Wer würde sich sonst trauen, das Versprechen zu geben, in guten und in schweren Tagen zu einander zu halten und einander treu zu sein?
Liebe ist das Größte. Die Hoffnung und der Glaube kommen gleich danach. Alles andere mag vergehen, aber diese drei bleiben bestehen. Leben wir daraus, in guten und schweren Zeiten. Gott helfe uns allen.
Alles Liebe und Gute für Sie und für euch!
Gabriele Koenigs
Xavier Rudd ist ein Sänger und Liedermacher aus Australien. Martin und Stefanie mögen seine Lieder sehr. Hier singt er: "Follow the sun" - Folge der Sonne, folge dem Licht. Ein Lied voller Ermutigung. Viel Freude beim Hören und Schauen der schönen Bilder.
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