Susanne hat in ihrem langen Leben viel erlebt, und sie hat viel gelesen und nachgedacht. Liebend gerne erzählt sie davon. Liebend gerne gibt sie weiter, was sie empfangen hat. "Alles ist Geschenk", sagt sie.
Elke kann davon auch erzählen. Erst neulich hatte sie eine bemerkenswerte Begegnung auf dem Weg. Sie schrieb mir: "Vor ein paar Tagen fuhr ich mit der Straßenbahn von einer Beerdigung nach Hause. Auf halber Strecke stieg eine junge Frau zu und
setzte sich mir mit einem freundlichen Hallo gegenüber. Schon das ist bei uns in Karlsruhe etwas Besonderes. Sie legte ihre Tasche und ein frisch geschnittenes Brot neben sich auf den Sitz und
begann in einem Buch zu lesen. Kurz darauf öffnete sie den Brotbeutel und holte sich eine Scheibe Brot heraus, schaute mich kurz an und bot mir auch eine Scheibe an. Dankend lehnte ich ab. Sie
biss mit großem Appetit in ihr Brot, überlegte kurz und frage mich dann: "Haben Sie heute schon etwas zu Mittag gegessen?" Nachdem ich verneinte, griff sie nochmals in den Beutel und reichte mir
eine Scheibe mit den Worten: "Dann nehmen sie wenigstens das." Jetzt nahm ich das Brot an und aß mit Freude die Scheibe Brot in der Straßenbahn.
Hinterher habe ich überlegt, was die junge Frau dazu bewogen hat, mir ein Stück abzugeben.
Ich sehe weder aus wie vom Fleisch gefallen, noch habe ich besonders hungrig geschaut. Allerdings war die
Beerdigung um 13.00 Uhr und die "Speisung" so gegen 15.00 Uhr. Jedenfalls habe ich so bewusst und voller Freude schon lange nicht mehr in ein Stück Brot gebissen.
Wenn ich an dieses Ereignis
denke, kommt eine tiefe Dankbarkeit in mir auf."
Das freundliche Hallo, die Aufmerksamkeit und die Scheibe Brot sind nicht selbstverständlich. Sie sind ein großes Geschenk.
Bestimmt können Sie alle auch davon erzählen, wie Ihnen etwas geschenkt worden ist, das Ihnen gutgetan
hat. Ihr alle könnt es, und ich kann es auch.
Und je tiefer wir nachdenken, desto deutlicher bemerken wir: Es geht nicht nur um dies und das. Es geht um alles. Dass wir leben, ist ein Geschenk. Dass es Morgen wird und Abend, Sommer und Winter. Dass wir heizen können und ein Dach über dem Kopf haben. Dass wir verbunden sind mit unseren Familien und Freunden und in der Nachbarschaft, ist ein Geschenk. Dass wir Musik hören können und einander Freude bereiten. Dass wir einander erzählen und zuhören. Dass die Tage bald wieder länger werden. Dass wir uns von Krankheiten erholen. Dass wir kreativ sein können. Alles das ist ein Geschenk.
Und dass Jesus geboren ist, unser Menschenbruder und Lehrer, das ist auch ein Geschenk. Er hat wahre Worte gesprochen und die Liebe verkörpert. Er war Liebe in Person. Er ist vor langer, langer Zeit gekommen. Lange, bevor wir auf die Welt gekommen sind. Dass seine Worte uns durch das Leben helfen und dass wir uns an ihm orientieren können, ist ein Geschenk.
Die Begegnung mit Susanne war bemerkenswert. Ich wusste, dass sie gerne liest. Sie liest in der Bibel. Sie liest Geschichten, Romane, Gedichte. Sie lässt sich inspirieren durch das, was sie liest. Ich wollte ein Foto machen, auf dem sie als Leserin zu sehen ist. Dazu hatten wir uns verabredet. Sie hatte zwei Lieblingsbücher schon bereitgelegt. Sie schlug eines auf. Kaum, dass sie eine Zeile gelesen hatte, fing sie an, mir vorzulesen. Noch ein guter Text, und noch ein guter Text. Sie wollte, dass ich das auch höre. Immer wieder kam sie ins Erzählen. Lebhaft wie sie ist, sprachen auch ihre Hände mit. Ich sah, wie sie so schön mit ihren Händen gestikulierte. Eine Hand war nach oben geöffnet, wie zum Empfangen. Die andere war zu mir gewandt. Als wollte sie sagen: „Nimm!“ Diese Haltung der Hände steht für eine innere Haltung. Und ich spürte: Genau diese Haltung möchte ich in meinem Gemälde zeigen. Denn es ist eine gute Haltung.
Empfangen und Weitergeben gehört zusammen, untrennbar. Wie einatmen und ausatmen. Eins nicht ohne das andere.
In meinem Gemälde ist nun gar kein Buch zu sehen. Manchmal müssen wir loslassen, was wir erwartet und beabsichtigt hatten. So werden wir frei. Frei zu empfangen, was das Leben für uns bereithält. Frei um zu hören, was Gott uns sagen will. Die Begegnung mit Susanne hat mir die Augen dafür geöffnet. Sie hat mich wahrhaft inspiriert.
Auch Ihnen und Euch wünsche ich gute Inspirationen in dieser Zeit vor Weihnachten!
Gabriele Koenigs
Hier können Sie eine beschwingte Version des Adventslieds hören: "Wir sagen euch an den lieben Advent", gesungen vom hochkarätigen Ensemble "Singer Pur". Viel Vergnügen!
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Susanne (Sonntag, 15 Dezember 2024 19:17)
O, liebe Gabriele,
danke für dein Malen, deine Worte, deine Deutungen.
Und: Ich habe mich auch neu sehen gelernt. Das ist erstaunlich. Das hatte ich nicht gedacht.
DANKE