
Es geht mir gut. Und dennoch bin ich in letzter Zeit sehr oft traurig. Traurig über die Situation in der Welt. Kriege und Konflikte und Drohungen nehmen zu. Politische Diskussionen bringen Entzweiung mit sich, selbst bis in Freundeskreise hinein. Deutschland soll wieder aufgerüstet werden. Riesige Schulden sollen aufgenommen werden, um das zu finanzieren. Meine Freundinnen und Freunde und ich haben sich ihr Leben lang für Abrüstung und für die Friedensbewegung eingesetzt. Wir standen in Menschenketten und Schweigekreisen für den Frieden. Wir haben uns gefreut über jeden, der den Wehrdienst verweigert hat und stattdessen einen Dienst für den Frieden geleistet hat. "Nie wieder Krieg!" Das gab uns eine Ausrichtung. Wir waren froh, wenn Waffen verschrottet wurden und wenn Friedensverhandlungen zu Friedensverträgen führten. Nun soll das alles nichts mehr gelten. Sicherheit wird von Bewaffnung erwartet. Manche gehen sogar schon so weit, eigene Atomwaffen in Deutschland zu fordern. Leute, die sich für die Friedensbewegung engagiert haben, werden als naive "Gutmenschen" diffamiert. Kein Wunder, dass ich traurig bin. Viele von Ihnen und von euch erleben diese Traurigkeit auch.
Wenn ich an die Zukunft denke, erscheint das Bild eines Berges vor mir. Er ist schier unüberwindlich. Schroff und bedrohlich. Wie soll die Menschheit überleben, wenn immer mehr Waffen produziert werden und in Kriegen eingesetzt werden? Wie soll das weitergehen mit der Vergiftung der Luft und des Wassers, der rücksichtslosen Ausbeutung von Bodenschätzen? Von was sollen sich die Menschen in Zukunft ernähren? Werde ich es noch erleben, dass Bomben über uns abgeworfen werden und wir in Kellern und Bunkern sitzen müssen, um zu überleben? Wie wird es denen gehen, die viel jünger sind als ich, und denen, die noch nicht geboren sind?
Ein Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz ist mir wieder eingefallen.
Steht noch dahin
Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden,
ob wir eines natürlichen Todes sterben,
ob wir nicht wieder hungern,
Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen,
ob wir getrieben werden in Rudeln,
wir haben’s gesehen.
Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen,
den Nächsten belauern,
vom Nächsten belauert werden,
und bei dem Wort Freiheit
weinen müssen.
Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett
oder zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,
ob wir es fertigbringen mit
einer Hoffnung zu sterben,
steht noch dahin,
steht alles noch dahin.
(Marie - Luise Kaschnitz 1901 - 1974)
Wir könnten unsere Traurigkeit und unsere Enttäuschung verstecken und so tun, als sei es alles normal und gut und okay. Aber das wäre nicht aufrichtig. Es würde auch nicht helfen. Wir müssen durch die Trauer hindurch. Ratlosigkeit und Tränen und viele Fragen melden sich. Sie gehören dazu. Natürlich könnten wir uns betäuben und ablenken und verstecken. Natürlich können wir andere beschuldigen. Alles das sind Manöver, die letztendlich gar nicht helfen. Wir müssen durch die Trauer hindurch.
Es ist nicht anders als nach dem Tod eines geliebten Menschen. Trauer braucht seine Zeit.
In der vergangenen Woche waren wir mit einer Kursgruppe zusammen und haben Berglandschaften gemalt. Eine von uns war in tiefer Trauer. Ihr Sohn ist gestorben. Sie kam schwarz gekleidet. Immer wieder waren Tränen in ihren Augen. Dennoch hat sie mit voller Hingabe ihr Bild gemalt. Ich hatte ein paar Motive zur Auswahl gegeben. Sie wählte sich das Motiv, das Sie hier sehen. Ein kleiner Wanderer steht vor einer riesigen, schroffen und dunklen Felsenwand. Sie malte ihre eigene Version des Motivs. Am Ende des Kurses stellte sie uns ihr fertiges Bild vor und nannte uns den Titel, den sie dafür gewählt hat. Sie sagte: "Mein Bild ist ein Hoffnungsbild für mich. Es heißt 'Mein Weg ins Licht'. Der Wanderer auf dem Bild steht vor dem großen dunklen Berg. Aber er schaut schon voraus auf den Weg, der ihn ins Licht führt. So möchte ich das auch tun." Es war sehr bewegend für mich, als sie das sagte. Ich empfand ihre Aufrichtigkeit. Und ich empfand den Funken Hoffnung, der in ihrem Titel enthalten ist.
In der Kommunität der Schwestern von Grandchamp kommt in den Gebeten immer wieder die Bitte vor: "Geleite uns durch dieses Erdenleben bis in dein ewiges Reich." Diese Bitte ist mir jetzt auch wieder eingefallen. Sie ist aufrichtig. Und sie trägt Hoffnung in sich. Unser Weg reicht über das Erdenleben hinaus. Er führt uns zu Gott. Und er führt uns immer tiefer in die Liebe hinein.
Mögen wir alle lernen, darauf zu vertrauen. Mögen wir die Liebe empfangen und weitergeben. Jetzt schon. Tag für Tag.
Alles Liebe und Gute für Sie und für euch!
Gabriele Koenigs
Hier können Sie den Kanon "dona nobis pacem" hören und mitsingen. Es ist die uralte Bitte um den Frieden, ausgedrückt in lateinischer Sprache. Übersetzung: Gib uns Frieden.
Diese Bitte um den Frieden ist allumfassend. Für mich liegt darin auch die Bitte um den Frieden mit der Traurigkeit und den Fragen.
Viel Freude beim Anhören und Mitsingen.
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Hier können Sie ein Stück aus dem "deutschen Requiem" von Johannes Brahms hören. Es ist eine Vertonung der Verheißung von Jesus: "Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden."
Lassen Sie sich berühren von dieser Musik und dem Trost, der darinnen liegt.
Dieses Video ist eine Aufzeichnung des gesamten deutschen Requiems. Es beginnt mit "Selig sind, die da Leid tragen...". Dieser erste Teil dauert knapp 11 Minuten.
Wenn Sie mögen und einen guten Zeitpunkt dafür finden, können Sie natürlich das gesamte Stück anhören. Es lohnt sich wirklich.
Was würden Sie davon halten, wenn ich eine Kunstpostkarte mit diesem Motiv drucken lassen würde? Würden Sie dieses Motiv gerne jemandem schenken? Könnte es jemanden trösten und ermutigen? Welcher Titel sollte auf der Karte stehen?
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Karin Möller (Sonntag, 09 März 2025 09:21)
Liebe Frau Koenigs, freue mich jeden Sonntag auf Ihren Text und die schöne Musik. Vielen Dank!
Gudrun Erbele (Sonntag, 09 März 2025 09:41)
Liebe Frau koenigs,ǰeden sonntag freue ich mich ganz besonders auf ihre
So mutmachenden wiorte.schicke sie gerne auch an Freunde weiter.
Leider bekam ich heute nichts.
Ich grüsse sie herzlich
Gudrun Erbele
Robert (Dienstag, 11 März 2025 13:35)
Zum Thema Angst habe ich vor längerer Zeit einmal einen Vortrag gehört, bei den auch das Bild eines Berges verwendet wurde. Es kann helfen, wenn man angesichts eines unüberwindbar wirkenden Berges, so der damalige Redner, zurückblickt und sich bewusst macht, welche Berge man schon überwunden hat - und religiöse Menschen würden vermutlich sagen "mit Gottes Hilfe überwunden hat".
Das tröstet nicht über alles hinweg, ist aber vielleicht auch eine kleine "Ermutigung".
Mit frühlingshaften Grüßen ("das Grün bricht aus den Zweigen") aus der Kurpfalz
Robert